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Bach Hindemith
Book

Bach Hindemith

Author

Weidinger, Georg

Publisher

Klaviermusik.at

Release Date

21. April 2017

Description

Im Sog der Zeitlosigkeit Die Mehrheit seiner Bekannten und Freunde hat Georg Weidinger als zunächst als TCM-Allgemeinmediziner kennengelernt, also als Arzt, der seinen Schwerpunkt früh im Bereich der Traditionellen Chinesischen Medizin gesetzt hat und darin heute ein gesuchter Experte ist. Viele kennen ihn freilich auch von seiner anderen fachlichen Seite - der anderen innerhalb des einen einzigen Ganzen: als Komponisten und Pianisten. Und wer ihn schon einmal seine eigenen Stücke aus intensiven und leidenschaftlichen Jazzimprovisationen entwickeln gehört (und gesehen) hat, wird sicher nicht mehr differenzieren, ob nun die Medizin oder die Musik bei ihm an erster Stelle steht. Und wie er uns in den letzten Jahren immer wieder mit Neuem überrascht hat - man denke beispielsweise an seine rege Tätigkeit als Buchautor - so begegnet uns Georg Weidinger auf der vorliegenden CD einmal mehr mit einem Aspekt, der uns in dieser Form noch nicht (oder zumindest schon sehr lange nicht) begegnet ist: als Interpret klassischen Klavierrepertoires des Barockzeitalters und des 20. Jahrhunderts. Hat man Johann Sebastian Bach (1685-1750) spätestens seit der Wiederentdeckung und Popularisierung seiner Musik, welche durch die Aufführung seiner Matthäus-Passion unter der Leitung Felix Mendelssohn Bartholdys in Berlin 1829 ausgelöst wurde, das Prädikat "zeitlos" zugeordnet und dieses in der Folge mit ungebrochener Gültigkeit beibehalten, so wäre es gar nicht leicht, andere Titanen der Geschichte mit diesem Wort in Verbindung zu bringen. Zu sehr entzieht sich das Symbol des Perfekten, des Reinen dem Menschlich-Irdischen wie es allen Meistern von Haydn, Mozart und Beethoven bis in die unmittelbare Gegenwart zu eigen ist. Mit dieser Idealisierung übersehen wir freilich die durchaus sehr menschlichen Aspekte in der Biographie und wohl auch im Schaffen Bachs. Zum anderen ist verblüffend, wie manches Werk eines anderen Komponisten, das keineswegs ständige Präsenz in den Konzertsälen genießt, durchaus konsequente Analogien zu Bach-Kompositionen aufweist und sich damit auch in die Nähe dieses "Zeitlosen" begibt. Eine solche, im ersten Moment überraschende, im zweiten jedoch völlig "logisch" wirkende Verbindung präsentiert uns Georg Weidinger mittels der Verzahnung von Sätzen aus dem Wohltemperierten Klavier von Johann Sebastian Bach mit Stücken aus dem Ludus tonalis von Paul Hindemith (1895-1963). Die meisten Musikfreunde wird beim Anhören dieser CD vermutlich der quasi selbstverständlich wirkende Übergang zwischen den Sätzen Hindemiths und Bachs überraschen, ja, man könnte eventuell sogar meinen, hierbei mit einem einzigen großen Werk konfrontiert zu sein. Kein Klavierschüler, der nicht im Lauf seiner Ausbildung mit dem Wohltemperierten Klavier konfrontiert würde. Zumindest dessen erster Teil gehört zum internationalen Unterrichtsrepertoire. Gleichzeitig gehören diese Stücke aber auch zum Standardrepertoire beinahe aller Konzertpianisten, enthalten sie doch über das rein Spieltechnische hinaus so viele Elemente, an denen ein Künstler sein ganzes Leben hindurch zu reifen vermag. Sowohl der erste Teil von 1722 als auch der zweite Teil von 1740/42 enthalten jeweils 24 Präludien und Fugen von sehr unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad in sämtlichen Dur- und Moll-Tonarten. Obwohl es gelegentlich zyklische Aufführungen der beiden Bände gibt, hat sich doch in der Praxis ergeben, dass Pianistinnen und Pianisten ihre individuelle Auswahl einer kleineren Gruppe aus den insgesamt 48 Stücken treffen und diese in ihren Programmen darbieten. Auch wenn er beim breiteren Publikum nie dieselbe Popularität erlangte wie Bachs Werk, stellt Hindemiths Ludus tonalis ("tonales Spiel") von 1942 doch eine bemerkenswerte Analogie zum Wohltemperierten Klavier dar. Auch hier finden sich zwölf Fugen, die durch elf Interludien verbunden und von einem Präludium und einem Postludium umrahmt werden. Anders freilich als Bach wendet Hindemith in seinem Zyklus nicht die über Jahrhunderte gepflogenen Dur- und Moll-Leitern an, sondern seine eigenen auf den einzelnen Grundtönen der chromatischen Tonleiter basierenden Reihen, wodurch zwar ein Festhalten am "tonalen Denken" erfolgt, trotzdem jedoch gleichzeitig ein sich mit gewohntem Hörverständnis reizvoll reibender Eindruck entsteht. Den Beschluss der Aufeinanderfolge von Sätzen aus dem Ludus tonalis und dem Wohltemperierten Klavier bilden zwei komplette Werke von Bach und Hindemith. Zunächst die dritte der Englischen Suiten, die Bach vermutlich 1715, also einige Jahre vor dem Wohltemperierten Klavier komponiert hat und die von ihren Interpreten mindestens so hohe Virtuosität verlangen wie dieses. Der Titel lässt sich heute nicht konkret erklären. Eine vermutete Bezugnahme auf den damaligen englischen Cembalostil lässt sich ebenso wenig erhärten wie ein britischer Auftraggeber. Inhaltlich begegnen wir einer Abfolge von im Barock üblichen Tanzformen, die sich an ein einleitendes Prélude anschließen und Spieler wie Zuhörer der damaligen Zeit ebenso wie heute durch unmittelbar vertraute musikalische Muster erfreuten und ansprechen. Schließlich ein weiteres Hindemith-Werk, das sich wie selbstverständlich und aus einem Guss an das Vorangegangene fügt: die Sonate für Klavier Nr. 1 A-Dur. Sie entstand 1936 und erhielt ihre Inspiration durch das Hölderlin-Gedicht "Der Main": vielleicht auch eine bewusste Verneigung vor der deutschen Kultur, die zu dieser Zeit bereits vom nationalsozialistischen Regime in grober Verzerrung missbraucht wurde. Wie viele Intellektuelle sah sich auch Hindemith zum Verlassen des Landes veranlasst, sodass das Werk primär in der Türkei komponiert wurde. Musikalisch weist nichts auf eine konkrete Ausdeutung des Textes, vielmehr mag man darin auch eine Aufforderung erkennen, zum Verlauf der Musik über eine absolute Sichtweise hinweg im Kopf auch eigene fantasievolle Bilder zu entwickeln. Und wer weiß, vielleicht ähneln diese Bilder letztlich sogar stark dem, was sich der Interpret während der Einspielung gedacht hat und in seine Interpretation einfließen ließ.